Ihre Figur regte wie keine andere die Fantasie an. In Erzählungen der apokryphen Evangelien nach Maria und nach Philippus bekommt der Leser mit, wie Petrus sie abwertet. Papst Gregor der Große sieht in ihr die sündige Frau mit den sieben Dämonen. Die Popkultur hält sie für die Geliebte Jesu: Nikos Kazantzakis lässt in 'Die letzte Versuchung' Jesus am Kreuz von einer Ehe mit Magdalena träumen; Dan Brown behauptet in 'Sakrileg', dass Magdalena als Ehefrau Jesu ein Kind von ihm zur Welt brachte.
Papst Franziskus erklärte sie 2016 zur "Apostelin der Apostel" und verlieh ihrem liturgischen Gedenktag am 22. Juli den Rang eines liturgischen Festes. Endlich eine fällige Rehabilitierung.
Eigentlich ist die Bezeichnung "Apostelin der Apostel" bzw. "Apostola Apostolorum" nicht neu. Hippolyt von Rom verwendet sie bereits im 3. Jahrhundert, um die österliche Rolle dieser Jüngerin Jesu zu charakterisieren. Augenzwinkernd schreibt Hieronymus im 4. Jahrhundert in einem Bibelkommentar: "Als Jesus auferstanden war, erschien er zuerst den Frauen. Jene wurden Apostelinnen der Apostel. Und die Männer sollten schamrot werden, weil sie den nicht suchten, den das zartere Geschlecht schon gefunden hatte."
Maria von Magdala ist eine biblische Heilige, aber auch eine Heilige der noch ungeteilten Christenheit, die von Orthodoxen, Katholiken und Protestanten verehrt wird. Denn sie steht für das Wagnis eines christlichen Aufbruchs in einer nach-christlichen Zeit. Sie lehrt Christen durch alle Jahrhunderte, dass Ostern Zukunft enthält.
Die Evangelien zeichnen kein vollständiges Portrait von ihr, nur Mosaiksteine. Diese aber lassen das Bild einer interessanten und bedeutenden Frau des Urchristentums entstehen.
Maria von Magdala, aus der nach Lk 8,2 sieben Dämonen ausgefahren sind, ist nicht zu verwechseln mit "Maria von Betanien", der Schwester von Martha und Lazarus (Joh 12; Lk 10,38-42), oder mit der "stadtbekannten Sünderin", die im Haus des Pharisäers Simon bei einem Gastmahl von hinten an Jesus heranschleicht, seine Füße mit ihren Tränen benetzt, sie mit ihren Haaren trocknet und sie mit Öl salbt (Lk 7,36-50). Die Identifizierung der wohlhabenden Frau namens Maria mit der "stadtbekannten Sünderin" - wie Gregor der Große im 6. Jahrhundert es in irrtümlicher Weise angenommen hat - zerstört nachhaltig den Ruf von Maria aus Magdala.
Sie ist eine namhafte Frau. Denn sie wird nicht wie andere Frauen über Männer definiert - etwa "die Frau des ..." oder "die Mutter des ...". Identifiziert wird sie vielmehr mit dem aramäischen Namen ihrer Heimat Magdala ("Turm", "Feste") - einer Stadt mit jüdischer Bevölkerung, die etwa 5 km nördlich von Tiberias liegt, und von deren Wohlstand noch heute Funde bezeugen. Diese Identifizierungsart profiliert eine selbstständige Frau, die auch in der Nachfolge Jesu selbstbestimmt handeln wird.
Sie hat etwas zu sagen. Sie steht am Ostertag den Engeln im Grab Rede und Antwort, sie spricht voll Autorität mit dem vermeintlichen Gärtner, sie spricht mit dem Auferstandenen, und verkündet jenen, die das Zeichen des geöffneten und leeren Grabes nicht zu deuten wussten, das Osterevangelium.
Ihr Schweigen ist laute Rede. Sie steht an der Spitze der Frauen, die trotz eigener Gefährdung beim sterbenden Jesus ausharren und mit diesem stillen Protest ihre Solidarität bekunden. Die schweigende Magdalena setzt in jener Stunde - einfach durch ihr Dabei-Stehen - die Mächtigen ins Unrecht.
Sie ist eine Frau, die sich erinnert. Maria Magdalena geht mit den anderen Frauen zum Grab. Sie gedenken des Toten. Wo Trauer mit Erinnerung verbunden ist, wird Weiterleben für die Hinterbliebenen möglich. Denn die Erinnerung an Leid, Qual, Schmerz und Tod enthält auch die Zusage des Lebens.
Alle Namenslisten der Evangelien setzten Maria von Magdala und Simon Petrus an die erste Stelle. Maria Magdalena führt die Frauenlisten an (Mk 15,40f.47; 16,1; Mt 27,55f.61; 28,1; Lk 8,2f.; 24,10), Simon Petrus die Männerlisten. Dies hat mit ihrer Rolle an Ostern zu tun: beide haben als jeweils erste "den Herrn gesehen" und auf dieser Basis die Sammlung der übrigen Jünger und Jüngerinnen vorangetrieben. Die Ersterscheinung vor Simon Petrus wird im Lukasevangelium als die eigentliche Initialzündung verstanden, die den Osterglauben der anderen Jünger begründet (Lk 24,34), so dass die Ersterscheinung vor Maria Magdalena unter den Tisch fällt. Eben dieser Platz aber, den Maria Magdalena an Ostern vom Auferstandenen bekommen hat, darf keineswegs übersehen, geschweige denn vergessen werden (Mk 16,1f.6f.; Mt 28,9; Joh 20,1-18)! Denn die Ersterscheinung vor Maria Magdalena ist der weibliche Anteil an der Gestalt der Kirchenwerdung. Und zwar nicht erst in der Moderne, sondern bereits im Urchristentum! Maria aus Magdala ist nicht in ihrer Heimat geblieben. Sie bricht auf, geht fort, geht mit. Als Schülerin folgt sie dem Ruf ihres Meisters Jesus in die Nachfolge und begleitet ihn bis ans Ende seines Weges. Als Osterzeugin bleibt sie am Ostertag nicht im Garten, um die eben erlebte Begegnung mit dem Auferstandenen auszukosten, sondern macht sich auf den Weg, den Jesus ihr gewiesen hat: hin zu den anderen Jüngern und Jüngerinnen, als Künderin des neuen Lebens. Sie wagt den Schritt ins Unbekannte. Die Magdalena steht für Aufbruch, für Innovation, für die Bereitschaft, auf ein unbekanntes Ziel zuzugehen.