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»Frau, wo sind sie geblieben? Ist keiner mehr da, um dich zu verurteilen?«
Diese Frage stellt Jesus der Frau, die „auf frischer Tat beim Ehebruch ertappt“ worden war.
Welch eine Erleichterung – und zugleich Verwunderung – mag diese Frau nun fühlen? Sah sie sich wenige Minuten zuvor noch mit einer meuternden Menge konfrontiert, die bereit war, sie wegen ihres Vergehens zu steinigen. Gerettet hat sie Jesu Intervention: „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein auf sie.“ (Joh 8,7).
Manchmal wünschte ich mir Jesus noch einmal zurück in unsere heutige Welt: Klare Worte, Konfrontation mit dem eigenen Selbst, Einsatz für die Schwächeren. Manchmal habe ich das Gefühl, schimpfen, anklagen, mit dem Finger auf andere zeigen ist in unseren Bezügen völlig normal geworden. Ein Fehler auf dem Kassenbon? – „Da knöpf ich mir erstmal die Kassiererin vor.“ Das gelieferte Paket hat Macken? „Dieser Tollpatsch vom Paketdienst!“ In vielen Situationen, in denen schnell mit dem Finger auf die Schuld der anderen gezeigt wird, wünschte ich mir oft ein weiteres Herz. Einmal tief durchatmen: Wie schlimm ist es wirklich? Hätte mir nicht das gleiche auch passieren können? Was verliere ich selbst dabei, wenn ich meinem Gegenüber einen Fehler zugestehe, ihn sogar verzeihe? Jesus macht es in der Erzählung, die wir an diesem Wochenende hören, vorbildlich (für die beteiligten Personen mitunter irritierend) vor: Er antwortet erstmal gar nicht, schaut auf den Boden und zeichnet in den Sand. Ich finde, diese Geste könnten wir uns in der einen oder anderen Situation zu eigen machen: Nicht sofort reagieren, erst bis 10 zählen, und dann den Ball zurückspielen: Bin ich selbst denn fehlerfrei? Ist mir noch nie etwas passiert, das ich im Nachhinein lieber ungeschehen machen würde? Die Fastenzeit bietet uns die Chance, in uns hineinzuhorchen, auf welcher Seite des Lebens wir stehen (wollen). Und wer weiß, vielleicht sind Sie beim nächsten Mal ein Teil der Menge, die auf einmal nicht mehr da ist, um die Schuldige zu verurteilen? Vielleicht haben Sie vorher bis 10 gezählt und sich eines anderen besonnen?
Ich wünsche es Ihnen!
Ihre Ruth Reiners